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Gefährlich gemütlich - Wie eine ganze Familie zum Notfall für die LAR wird

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Familie Biewer

Es sollte eine schöne Erinnerung für Familie Biewer werden: Der letzte Urlaub zu siebt, bevor die beiden ältesten Kinder ins Studentenleben starten. Doch die Sardinienreise endet mit einem schweren Unglück. Das Meer rauscht, die Grillen zirpen, eine sanfte Brise weht über den Campingplatz von Sassari (Sardinien). Von Stellplatz 15 ertönt Gelächter. Im Schutze der Markise ihres Wohnwagens und in dem gemütlichen Ambiente eines Tischkamins genießen sieben Urlauber aus Luxemburg  das Ehepaar Biewer mit Tochter (22) nebst Freund und den drei Söhnen (12,15,20)  das gemeinsame Abendessen im Freien.

 

Der älteste Sohn, als erster fertig, zieht sich in die Hängematte zurück, während der Rest der Familie weiterspeist. Kurz darauf steht sein Vater auf, um den mit Bio-Ethanol betriebenen Tischkamin nachzufüllen. Plötzlich zischte es, und ich hatte Feuer im Gesicht. Dieses Bild vom Feuer sehe ich noch heute ständig vor mir, erzählt Frau Biewer mit belegter Stimme. Ihr Ehemann und sie stehen in Flammen. Geistesgegenwärtig werfen die Kinder Handtücher auf die Mutter. Der älteste Sohn stürzt sich auf seinen Vater und wirft ihn in den Sand. Von Panik getrieben läuft Frau Biewer weg, übersieht die kleine Mauer des terrassierten Stellplatzes und fällt sie herunter.

 

Ein Nachbar hört ihre Schreie, eilt zu ihr und stürzt sich auf sie, um sie zu löschen. Augenzeugen setzen einen Notruf ab. Mit einem kurzen Bild vom Krankenwagen endet die Erinnerung der Mutter. 25 Prozent ihres Körpers sind 2. bis 3. Grades verbrannt. Sie wird noch auf dem Weg ins Krankenhaus reanimiert. Die Ärzte versetzen sie später in ein künstliches Koma. Ihr Ehemann kommt mit Verbrennungen 2. und 3. Grades über 5% des Körpers vergleichsweise glimpflich davon  die Kinder mit einem Schock. Meine Geschwister und ich waren auf einmal ganz auf uns allein gestellt in einem fremden Land, dessen Sprache wir nicht sprechen. Ich bin zwar kein kleines Kind mehr, aber ich fühlte mich hilflos und war erleichtert, als andere Erwachsene uns beistanden, schildert die Tochter.

 

Neben einer hilfsbereiten Camping-Nachbarin, die die Kinder bei sich im Wohnwagen übernachten lässt, gibt vor allem der Kontakt mit der Luxembourg Air Rescue der Tochter Halt. Zwei Stunden nach dem Unfall telefoniert sie mit Stéphane Belkadi aus der LAR Alarmzentrale. Seine Kollegen und er erhalten tagtäglich Anrufe von Mitgliedern, die sich im Ausland in einer medizinischen Notsituation befinden. Schlaganfälle, Herzinfarkte und Verkehrsunfälle gehören zu den gängigen Hintergründen für Repatriierungsanfragen. Mit einer Situation wie dieser sind wir jedoch höchstens zweimal pro Jahr konfrontiert. Immerhin war hier eine ganze Familie von einer medizinischen aber auch menschlichen Not betroffen. Wir mussten uns nicht nur um die schwerverletzten Eltern kümmern, sondern auch um deren traumatisierten Kinder, betont der medizinische Regulator.

 

So kontaktiert er umgehend einen Onkel der Familie, selber im Urlaub in Südfrankreich, damit er vor Ort für die Kinder da sein kann. Eine solche Fürsorglichkeit ist nicht selbstverständlich. Mein Schwager ist verblüfft gewesen, dass die LAR ihm sofort Tickets für den erstmöglichen Flug nach Sardinien zukommen ließ, berichtet Frau Biewer. Zeitgleich setzt die LAR sich mit dem Krankenhaus in Italien in Verbindung, um Näheres über den Gesundheitszustand der beiden Patienten zu erfahren. Frau Biewers Zustand war sehr kritisch. Die lokalen Ärzte versorgten ihre Verletzungen zwar bestmöglich, doch sie musste schnellstmöglich in einer Klinik für Schwerbrandverletzte weiterbehandelt werden. Dank unserer guten Beziehungen zum Centre de Traitement des Brûlés in Loverval bei Charleroi (B) konnten wir die Verlegung schnell organisieren, erklärt Stéphane Belkadi. Doch auch die Tochter ist ihm bei der Planung eine große Hilfe. Sie hat bis zum Schluss einen klaren Kopf bewahrt und dies trotz allem, was sie erlebt hat. Deswegen ist sie eine wahre Heldin, unterstreicht der LAR Regulator.

 

Um zusätzliche Zeit zu gewinnen, leiten Belkadi und seine Flugplaner-Kollegen kurzerhand einen LAR LearJet um, der sich auf dem Rückflug nach Luxemburg befindet. Für die diensthabende medizinische Besatzung  darunter LAR Intensivkrankenpfleger Guido Genten und Notärztin Carina Tidden  bedeutet dies, dass sie sich auf eine unerwartete Folgemission einstellen muss. Wir hatten nicht viel Zeit und deswegen nicht viele Informationen, um uns auf die Patienten vorzubereiten, aber in unserem Job ist oft Flexibilität gefragt, erklärt Guido Genten.

 

Wie herausfordernd die Umstände sind, wird der medizinischen Besatzung bewusst, als sie abends im Krankenhaus ankommt. Während der Vater stabil und somit transportfähig ist, erweist sich der Zustand der Mutter als sehr instabil. Es schien, als sei sie bei Bewusstsein. Sie reagierte auf ihren Namen und bewegte sich. Ihr Blutdruck war zu hoch, da die Betäubung nicht tief genug war. Für den Körper, der durch die Verbrennungen ohnehin schon besonders beansprucht war, bedeutete dies zusätzlichen Stress. Wir haben die Dosis des Betäubungsmittels erhöht und unsere Patientin für den Transport am Folgetag stabilisiert, berichtet Guido Genten. Dass die medizinische Besatzung sich bereits am Vorabend des Verlegungsfluges ein Bild von den Patienten machen kann, stellt für alle Beteiligten in doppelter Hinsicht einen bedeutenden Zeitvorteil dar. Es hat uns nicht nur erlaubt, Frau Biewer in Ruhe zu stabilisieren, sondern wir konnten dadurch auch ihre aktuellen Werte gleich an die Spezialklinik in Belgien weitergeben und die Patientenübergabe somit optimal vorbereiten, präzisiert Belkadi.

 

Am Morgen darauf holen Carina Tidden und Guido Genten ihre beiden Patienten für den Transport an Bord eines vollausgestatteten Ambulanzfliegers nach Charleroi ab. Im Krankenhausflur wartet die Tochter auf die Helfer aus Luxemburg. Während ihre Geschwister bereits mit ihrem Onkel auf dem Weg nach Hause sind, ist sie in Italien geblieben, um ihre Eltern auf dem Verlegungsflug zu begleiten. Was die Crew nicht weiß: Die damals 21-Jährige hat ihre Eltern seit dem Unfall nicht mehr gesehen.

 

Ich erlebe in meinem Beruf viele bewegende Momente, aber dieser ist bei mir besonders hängengeblieben, schildert Guido Genten. Doch die junge Frau zeigt nicht nur beim emotionalen Wiedersehen mit ihren Eltern, sondern auch während des Fluges, wie stark sie ist. Der Flug verging wortwörtlich im Flug. Frau Biewer war sehr überwachungsintensiv und so hatten wir permanent alle Hände voll zu tun, sagt der LAR Intensivkrankenpfleger. Im belgischen Zielkrankenhaus angekommen, stellt sich heraus, wie wichtig die zügige Verlegung für den Genesungsverlauf der Mutter war. Tests ergeben, dass sie sich im italienischen Krankenhaus ein multiresistentes Bakterium auf der Haut zugezogen hat. Erst nach einer längeren Antibiotikatherapie können die Ärzte anfangen, die Verbrennungsverletzungen zu behandeln und die Brüche beider Fußknöchel zu operieren, die die Luxemburgerin sich beim Sturz von der Mauer zugezogen hat. Herr Biewer hingegen kann die Spezialklinik bereits nach einer Woche verlassen, besucht seine Ehefrau aber jeden Tag in Belgien. Meine Geschwister, Familie, Freunde und ich haben unseren Vater abwechselnd begleitet und mit meiner Mutter gesprochen in der Hoffnung, dass sie uns hört.

 

Während der ganzen Zeit haben wir alle sehr eng zusammengehalten, vor allem mein Freund gab mir die nötige Stärke, berichtet die Tochter. Als Frau Biewer sechs Wochen nach dem Unfall aus dem Koma erwacht, muss sie gleich mehrere Hiobsbotschaften verdauen. Ihr linker Knöchel ist in mehrere Teile zersplittert. Die Ärzte können nicht abschätzen, ob sie je wieder laufen kann. Sie sitzt vier Monate lang im Rollstuhl. Ihre linke Hand kann sie anfangs aufgrund der Verbrennungen nicht mehr bewegen. Bei einer der bisher 20 durchgeführten Hauttransplantationen gibt es weitere infektiöse Komplikationen. Es war eine harte Zeit. Aber ich hatte außerordentliches Glück, dass ich überall in professionellen Händen war  bei der LAR, in Charleroi und anschließend im Rehazenter in Luxemburg, betont die Mutter.

 

Neben der eingeschränkten Mobilität muss die heute 48-Jährige sich auch an die äußerlichen Spuren des Unfalls gewöhnen. Es kostet mich nach wie vor viel Überwindung, in den Spiegel zu schauen. An die Blicke meiner Umwelt muss ich mich ebenfalls gewöhnen. Zudem hat sie damit zu kämpfen, dass ihr sechs Wochen ihres Lebens fehlen. Mein Gedächtnis hat eine riesige Lücke. Wir reden innerhalb der Familie viel über den Unfall und die Zeit danach. Ich erfahre immer wieder neue Details und füge ständig die Puzzleteile zusammen.

 

Was die Familie jedoch nach wie vor nicht weiß, ist, wie genau es überhaupt zu dem Unfall kam. Fest steht, dass Ethanol betriebene Tischkamine gefährliche Geräte sind, von denen man am besten die Finger lassen sollte, meint die vierfache Mutter im Nachhinein. Bei allem Übel ist sie dankbar, dass den Kindern nichts passiert ist. Nicht auszumalen, wie es für unseren Ältesten ausgegangen wäre, wenn er nicht kurz vorher aufgestanden wäre. Er saß links neben mir und meine linke Körperhälfte ist am stärksten verbrannt. Unser jüngster Sohn saß beim Nachfüllen hinter meinem Mann und war somit verdeckt. Die anderen Kinder saßen alle nahe am Kamin, die Flammen gingen jedoch in eine andere Richtung.

 

Spuren  ob sichtbar oder nicht  hat der Urlaub bei allen hinterlassen. Doch die Familie und vor allem die Mutter lässt sich nicht unterkriegen. Sie kämpft sich hartnäckig durch die Reha-Therapie. Ihre Mobilität in der linken Hand und in den Beinen kommt langsam zurück. Davon können Guido Genten und Stéphane Belkadi sich selbst überzeugen, als Mutter und Tochter sie knapp ein Jahr nach der Rückholung am Findel besuchen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie diese schweren Verbrennungsverletzungen so überstehen würde. Ihre Genesungsfortschritte, die sie nicht zuletzt ihrem enormen Lebenswillen verdankt, sind einfach nur beeindruckend, meint Guido Genten sichtlich bewegt. Frau Biewer blickt positiv in die Zukunft. Sie hat sich ein E-Bike gekauft und kann es nicht erwarten, endlich mit ihrem Ehemann Fahrrad zu fahren.